Videokunst auf Infoscreens in U-Bahnhöfen in NRW vom 12. 1. -3. 3. 2001

Rede von Dr. Bettina Baumgärtel, Leiterin der Gemäldesammlung des museum kunst palast, Düsseldorf, zur Eröffnung am 12. Januar 2001 im Foyer des museum kunst palast.

Wir feiern heute die Eröffnungen eines Kunstprojektes, das sich genaugenommen nicht wirklich hier vor Ort ereignet. Es handelt sich nicht um eine Ausstellungseröffnung im üblichen Sinne, sondern um ein ungewöhnliches Kunstprojekt, dessen Besonderheit es gerade ist, daß es eben nicht im Museum, an seinem angestammten Ort zu sehen ist, sondern, daß es im öffentlichen Raum stattfindet.

Es gehört zu den Eigenheiten der dort gezeigten Kunstwerke, daß sie gleichzeitig hier und an anderen öffentlichen Orten präsentiert werden können. Denn Video-Kunst ist dank seiner massenhaften Reproduzierbarkeit nicht nur ortsunabhängig, sondern vor allem auch multipräsent. Anders als das traditionelle Kunstwerk besteht die erfreuliche Möglichkeit, Video-Kunst zur gleichen Zeit an vielen Orten sichtbar zu machen.

Zunächst einmal geht es hier aber um NRW-weite und ab März um bundesweite Präsenz. Es wäre allerdings wünschenswert und technisch durchaus machbar, die Video-Tapes sogar in Zukunft international auf mehreren Kontinenten gleichzeitig auszustrahlen.

Das Medienkunstprojekt ist aus mehreren Gründen ein ungewöhnliches Projekt: Nicht nur, weil sich hier Künstler und Künstlerinnen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zusammengefunden haben und nun schon zum zweiten Mal mit außergewöhnlichem Einsatz und einem hohen Maß an Organisationstalent erfolgreich zusammenarbeiten. Nicht nur, weil sie, trotz der schwierigen finanziellen Umstände, trotz aller Bedenken und Einschränkungen, die immer wieder von außen an sie herangetragen wurden, zu einem Ergebnis gekommen sind, das spannnend und lebendig ist und das die Phantasie zum laufen bringt. - Daß sich im zweiten Präsentationsjahr die Zahl der Videobeiträge von 11 auf 22 verdoppelt hat, spricht im übrigen für sich. -

'Videokunst auf Infoscreens in U-Bahnhöfen in NRW' ist auch ein ungewöhnliches Projekt, wenn man einmal zurückschaut, wie die Geschichte der Video-Kunst verlief und welche Ziele verfolgt wurden, welche Präsentationsformen, Themen und Konzepte erarbeitet wurden.

Die Geschichte der Videokunst wird von Beginn an begleitet von einer utopischen Idee von der Revolutionierung der Kunst, die im Kontext einer politischen Bewegung auf eine gesellschaftliche Veränderung abzielt. In der Verbindung von Video und Kunst erhoffte man sich, ein Millionenpublikum zu erreichen, um sich den Regeln des Kunstmarktes entziehen zu können, indem man eine quasi unverkäufliche, weil immaterielle Kunst herstellte.

"Es war der Gedanke", so berichtet Ulrike Rosenbach, "Kunst für alle durch Reproduktion und Serienanfertigung [herzustellen]... Das Fernsehgerät, der "Altar" der modernen Familie, würde [es möglich machen], mindestens 60% aller Mitbürger [zu erreichen]. Das waren unsere Theorien, unsere Träume! Wir wollten mit Videosendungen einen Verbreitungsgrad von Kultur erreichen, den kein Museum, keine Galerie und kein Buch hätte leisten können."

Bald jedoch mußten die Künstlerinnen und Künstler erkennen, daß sie sich das Fernsehn nicht erobern konnten. Ihnen wurden nur marginale Sendezeiten im Fernsehn eingeräumt. Sie mußten einsehen, daß angesichts der Forderungen nach einer millionenfachen Einschaltquote die Teilhabe an den Produktionsmitteln und der Wunsch, an der Gestaltung der Bildsprache neuer Medien nicht durchsetzbar war.

Wenn sich heute unabhängig vom Fernsehn u.a mit einem Projekt wie 'Videokunst auf Infoscreens in U-Bahnhöfen in NRW' neue Wege auftun, sich eine größere Öffentlichkeit zu erobern und sich ggf. in die gängige Bildsprache von Werbung, Nachrichten und Wetteranzeigen einzumischen, so scheint mir das angesichts der beschriebenen Anfänge der Video-Kunst, um so bemerkenswerter.

Seit der Einführung des tragbaren Videorecorder im Jahr 1965 aber, befreiten sich die Video-Künstler ohnehin von der Abhängigkeit des Fernsehens und begannen diese Technik, das heißt die elektromagnetische Aufzeichnung von Bild und Ton und deren Wiedergabe auf dem Bildschirm, als ein neues künstlerisches Ausdrucksmittel zu nutzen. Dabei läßt sich feststellen, daß Künstler aus den unterschiedlichsten Disziplinen zum Video griffen, manche nur sporadisch, andere wiederum entwickelten sich zu "reinen" Videokünstlern". Auf diese Weise entstand im Laufe der 70er Jahre eine Szenerie, in der sich die verschiedensten künstlerischen und nichtkünstlerischen Sparten tummelten. Video wurde in der Folge zu einem Pool, der sich im Zwischenbereich von bildenden und aufführenden Künsten, von Wissenschaften, Fernsehen, Experimentalfilm, soziologischen und anthropologischen Recherchen bewegte. Es entwickelte sich eine Art Videoszene mit einer eigenen Infrastruktur heraus.

In den ersten rund zehn Jahre seiner Einführung diente Video übrigens fast ausschließlich dokumentarischen Zwecken. Von dieser rein dienenden Funktion hat sich das Künstler-Video weitgehend emanzipiert. Neben den Aufzeichnungen von Aktionen und Performences ließ sich die Videoarbeit zunehmend auch in ein konzeptuelles Denken und in die Reflexion über den Status des Künstlers integrieren. Video wurde zu einem Instrument für experimentelle Verfahren der Untersuchung von kultureller und damit auch geschlechtlicher Identität.

Längst ist bekannt, daß Video auch verstärkt von Künstlerinnen als eine von männlichen bestimmten Tradition unbelasteter Ausdrucksform genutzt wurde. Künstlerinnen entdeckten Video als ein - wie es Friederike Pezold ausdrückte, "Medium produktiver Emanzipation" für sich. Es kam ihnen die Intimität des Mediums entgegen, das erlaubte, mit sich und seinem "Spiegel", dem Video allein zu arbeiten, um Selbsterfahrungen, psychische Vorgänge, Körperreaktionen, Prozesse und Rituale sichtbar zu machen.

Bis heute - und dies werden Sie auch bei einigen der hier gezeigten Beiträge feststellen können - bleibt die eigenartige Dialektik zwischen der Privatheit des selbstreflexiven Medium und seiner öffentlichen Präsenz durch seine massenhafte Verbreitung virulent.

In der Tradition der Selbstreflexion stehen mehrere der heutigen Beiträge, darunter Inken Bojes "Körpertransformationen" oder Anja Friehoffs "Did you touch someone today?". Bei der Selbstbefragung spielten seit den 70er Jahren Closed-Circuit-Installationen eine bedeutende Rolle. Ursprünglich wurde in den Geschäften, Banken oder U-Bahnen diese Form der Videoüberwachungen, die von der Kamera aufgenommene Bilder zeitgleich auf einen Bildschirm übertragen, eingesetzt, was eine teils heftige politische Debatte, aber auch eine produktive künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Medium auslöste. Die Arbeit von Gunnar Friel innerhalb dieses Projektes greift diese Frage neu auf. Die Parallele zwischen dem Spielzeugaffen und dem U-Bahn-Bentuzer ist keineswegs zufällig.

Im Closed-Circuit erscheinen Abbild und Bild gleichzeitig, Realität und Reproduktion ereignen sich ebenfalls gleichzeitig. Die Einheit von Ort und Zeit, wie überhaupt der Faktor Zeit wurden zunehmend in der Video-Kunst zu einem Thema künstlerischer Auseinandersetzung.

 

Neben namhaften Vertretern der Video-Kunst wie Bill Viola hat hier in Düsseldorf auch die amerikanische Künstlerin Nan Hoover diese Überwachungstechnik produktiv für ihre künstlerische Arbeit genutzt. Bei ihren Installationen verwendet sie meist die interaktive Closed-Circuit-Anordnung mit Kamera und Licht. Nan Hoover war hier an der Düsseldorfer Akademie im Bereich Video, abgesehen von Nam June Paik, dem Pionier der Video-Kunst, sicher eine der wichtigsten und anregendsten Lehrer. So ist es kein Zufall, daß ein Großteil der an diesem Projekt beteiligten Künstler und Künstlerinnen wie Inken Boje, Susanne Faßbender, Andrea Natterer, Anke Schäfer, Gudrun Teich, Myriam Thyes oder Jan Verbeek zu Nan Hoovers Schülern zählten.

Die hier Beteiligten aber kommen keineswegs nur aus den Video-Klassen der Düsseldorfer Akademie, es sind als Lehrer die Professoren Uecker, Heerich, Brodwolf, Schwegler, Cragg oder Eggenschwiler ebenso zu nennen, wie Jürgen Klauke an der Medienhochschule in Köln.

Und es kommt dem Medium sicher zugute und macht seine Stärke aus, daß zahlreiche Video-Künstler, die das Medium bereichert und fortwärts gebracht haben, keineswegs nur Akademiezöglinge waren, sondern aus ganz anderen Zusammenhängen kommen. Der hier beteiligte Alexander Stempell z.B. kommt aus dem Film, Veit Landwehr von der Architektur.

Als Ehrengast ist der mit dem Marler Video-Kunst Preis ausgezeichnete Video-Künstler Jean-Francois Guiton mit dabei. Er zeigt eine stark verkürzte Version seines in Marl ausgezeichneten Videos "Tramage". Die Kurzversion "bahnbrechend" spiegelt die visuelle Erfahrung des auf den U-Bahnstationen wartenden Fahrgastes wider, der nur sehr flüchtig die vorbeirauschenden Straßen- und U-Bahnen wie in rasanter Schnittechnik als zusammengeschmolzene Lichtfelder wahrnimmt. Sein flüchtiges Sehen ist kein wirkliches Wahrnehmen.

Ähnliche Erfahrungen mit Zeit und Bewegung vermittelt Gudrun Kemsas "Merry-go-Round", in dem die Spannbreite zwischen hoher Geschwindigkeit und plötzlichem Stillstand innerhalb kürzester Sequenz deutlich wird.

Video-Kunst heute vertraut nicht mehr allein auf die Möglichkeiten der Videotechnik, sondern setzt Computertechnologien ein, um den Aufnahmen mehrere Ebenen und eine größere visuelle Kraft zu verleihen. Diese intermediale Herangehensweise belegt die "Geierin" von Myriam Thyes und Anke Landschreiber. In ihrem Beitrag thematisieren sie die Semiotik des Weiblichen und die Geschichte matriachaler Kulturen, um damit den Anteil der Frauen an der Entwicklung an unserer heutigen Kultur aufzudecken.

Nun komme ich zu einem Aspekt, der für die Künstlerinnen und Künstler sicher eine große Herausforderung war. Es ist dies wiederum eine Besonderheit, mit der sich Video-Künstler gemeinhin nicht auseinandersetzen müssen, wenn sie frei und ohne Vorgaben produzieren.

Alle Beteiligten mußten sich in ihrem Beitrag auf 20 Sekunden beschränken. Zieht man die vier Sekunden vom Titel ab, so verblieben sage und schreibe gerade einmal 16 Sekunden für jeden Beitrag. Wie Sie sich vorstellen können, hat allein die Frage großes Kopfzerbrechen bereitet, wie zu beginnen ist, ohne daß der Beginn schon alle Sekunden auffrißt und damit schon zugleich das Ende erreicht ist. Es kam immer wieder auch die Überlegung auf, wie ein Spannungsbogen entwickelt werden könne oder ob, und wenn wie überhaupt eine Erzählfolge hineingebracht werden könne, die in aller Kürze noch verständlich sei. Und vor allem war es nicht immer leicht, einen guten Abschluß zu finden.

Manche Künstler lösten das Problem, indem sie mit einigen wenigen Stills arbeiteten, wie in dem Beitrag von Andrea Natterer, andere beschränkten sich auf wenige bewegte Bilder und reduzierten sich damit auf wenige Schnitte und eine klare Schnittabfolge. Ursula Damm beispielsweise beschränkte sich in ihrem "Überflug" auf ein Motiv, in das sie durch Farbverläufe den Flug der Vögel nachzeichnete. Sie verbildlicht damit die medidativ zu nennende Reflexion über Zeit und Bewegung und thematisiert die Gleichzeitigkeit von Vergangenem und Gegenwärtigem.

Andere Teilnehmer dagegen finden gerade im gegenteiligen Arbeiten die Lösung für das Problem der Kürze. Gudrun Teich beispielsweise bedient sich der von der Werbung vorgegebenen rasanten Clip-Ästhetik. Indem sie den blitzartigen Bilderwechsel der Werbung aufgreift, dekonstruiert sie zugleich den Fetischcharakter der angepriesenen Konsumobjekte.

Witz und Ironie auf den Punkt zu bringen, setzt ebenfalls ein souveraines Umgehen mit dem Medium Video voraus. Roman Pomp mit "Kolibri", Monika Pirch mit "Im Gedränge" eines Müllschluckers oder Anja Vormann mit dem Kämmen eines Marmorkuchens führen dies gekonnt vor.

Anke Schäfer mit "Ich brauche Deine Augen", Peter Zoder mit "Das Leben" oder Jan Verbeek mit "Heute Abend" wagen sich in diesen wenigen Sekunden an eine Befragung des Lebens bzw. des Mediums selbst und seiner Rezeption. Vor unseren Augen stickt sich die so einfache wie tiefgründige Wahrheit in den Bildschirm, daß jegliche Video-Kunst ohne unsere Seh- und Wahrnehmungsfähigkeit vergebliche Liebesmühe ist. Der Betrachter als heimlicher Voyeur wird vor allem auch in Jan Verbeeks Beitrag zum Betrachter seiner selbst. Unbeabsichtigt tritt eine nächtliche Fensterputzerin für ihr unsichtbares Publikum als Schattenfigur in einem Schattentheater auf. Vor dem hellerleuchteten Fensterkreuz beendet sie in aller Ruhe ihre Arbeit, von der man weiß, daß sie niemals vollendet sein wird. Es liegt in der Natur der Sache, daß diese Tätigkeit des Putzens in Anständen wieder von vorne beginnt.

Anke Schäfer verweist mit ihrem gestickten Schriftbild, das an die Stelle eines gesprochen Satzes tritt, auf eine weitere Besonderheit dieser Kurzvideos: Sie alle müssen ausnahmslos ohne Ton auskommen, sie bleiben akustisch stumm. Wenn wir bedenken, wie sehr das Medium durch die Videoclips der populären Musik-Industrie geprägt wurde, und wie sehr wir gewohnt sind, zu den schnellen Schnitten akustisch animiert zu werden, dann wird um so klarer, welche Herasuforderung es gewesen sein muß, auf den Ton zu verzichten. Je länger man sich aber mit den Arbeiten beschäftigt, um so deutlicher wird, daß gerade die Stille inmitten überbordender Beschallung auf einem menschenüberfüllten U-Bahnhof, die besondere Stärke dieser Beiträge ist. Sie fallen aus dem gängigen Muster von Animation und Informationsvermittlung heraus.

Mit dem Medienkunstprojekt 'Videokunst auf Infoscreens in U-Bahnhöfen in NRW' werden die Fahrgäste zunächst unfreiwillig zu Kunst-Betrachtern, viele von Ihnen - dessen bin ich mir sicher - kämen nicht ins Museum, aber dafür kommt die Kunst zu ihnen und kann vielleicht den Alltagstrott etwas aufbrechen, kann Neugierde und Erstaunen wecken.

Ich wünsche dem Projekt ein Millionenpublikum.


© Dr. Bettina Baumgärtel, museum kunst palast, Ehrenhof 5, 40479 Düsseldorf